23. Februar 2020

Nachhaltigkeits-Ratingagenturen im Wandel

Fünfjähriges NKI-Jubiläum: Axel Wilhelm zur Entwicklung der ESG-Ratings

Im NKI Gründungsjahr 2015 hat sich das imug in einer Veranstaltung mit knapp 100 Teilnehmenden in Hannover zu „Sinn, Wirkung und Einsatz von Nachhaltigkeits-Ratings“ ausgetauscht – das vor mir liegende Veranstaltungsprogramm macht einen erstaunlich aktuellen Eindruck. Die großen Nachhaltigkeitsthemen des Jahres 2015 waren die Klimaverhandlungen in Paris und die Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs), die erstmals konkrete Ziele für eine nachhaltige Entwicklung weltweit setzten. Im Bereich der nachhaltigen Geldanlagen prägten bereits Themen wie das „Divestment“ aus fossiler Energie, das immer stärker wachsende Volumen des Finanzinstruments „Green Bond“ die Entwicklung des Marktes. Und im Bereich der Unternehmensskandale gab es 2015 prominente Beispiele wie „VW-Dieselgate“ aber auch die anhaltenden Strafzahlungen einiger Großbanken für kontroverses Geschäftsgebaren.

Bekanntermaßen prägen all diese Entwicklungen bis heute inhaltlich die Diskussion am Nachhaltigen Finanzmarkt und die Arbeit nachhaltiger Ratingagenturen. Im Bereich der Kriterien- und Produktentwicklung findet sich bei Nachhaltigkeits-Ratingagenturen aus guten Gründen auch nicht die allerhöchste Dynamik: Investoren wie auch analysierte Unternehmen erwarten nicht zuletzt eine gewisse Kontinuität und Vergleichbarkeit der Ratingergebnisse im Zeitverlauf.

Paukenschläge für die Szene

Diese „Konstanz“ im Inhaltlichen steht jedoch im krassen Gegensatz zu den sonstigen Entwicklungen im Markt der Nachhaltigkeits-Ratingagenturen. Zum einen hat die EU mit ihrer Sustainable-Finance-Strategie begonnen, auch Nachhaltigkeits- oder sogenannte ESG-Ratings mit in den Fokus zu nehmen. Die vollen Konsequenzen hieraus sind noch nicht abzusehen. Kurzfristig hat dies erfreulicherweise die Geschäftskonjunktur rund um Nachhaltigkeitsratings deutlich beflügelt, gleichzeitig lassen aber auch Stichworte wie „Akkreditierung“ und ultimativ auch „Regulierung“ aufhorchen: Ob mehr Standards und eine bürokratische Einhegung einem anspruchsvollen und dynamischen Thema wie der Bewertung von Nachhaltigkeit guttun, ist zumindest diskussionswürdig.

Zum anderen lässt sich eine fortschreitende Marktkonsolidierung beobachten, die den Markt für Nachhaltigkeitsratings in den letzten fünf Jahren rasant verändert hat. 2015 erfolgte unter anderem die Fusion des imug Researchpartners EIRIS mit der französischen Ratingagentur Vigeo zu Vigeo Eiris. Und auch 2015 gab es schon „Big Player“ wie MSCI, die das Thema früh für sich entdeckt hatten. In den letzten Jahren sind nun allerdings bereits viele weitere große Namen aus dem globalen Finanzmarkt hinzugekommen. Mornigstars Einstieg bei Sustainalytics, die Übernahme von oekom research durch ISS oder Moody’s Mehrheitsbeteiligung bei Vigeo Eiris waren regelrechte Paukenschläge für die Szene. Und auch S&P und Datenbankanbieter wie Bloomberg und Refinitive mischen schon seit längerem im Geschäft mit ESG-Daten mit.

Freies Spiel der Marktkräfte

Auffällig ist nicht zuletzt die Dominanz US-amerikanischer Unternehmen im Markt der Nachhaltigkeitsratings. Was dem einen als Ausverkauf europäischer Nachhaltigkeitswerte erscheint, gilt dem anderen als Beleg für das gelungene Mainstreaming nachhaltiger Investments. Und während mancher Marktteilnehmer noch damit hadert, sich ausgerechnet von US-Amerikanern das Thema Nachhaltigkeit erklären zu lassen, befürchten andere bereits erste Tendenzen zu oligopolistischen Strukturen. Der Markt für Kreditratings lässt grüßen! Gleichzeitig muss man anerkennen: Die US-amerikanischen Anbieter haben den Wert von ESG-Daten auf einem zukünftig nachhaltigen Finanzmarkt offensichtlich besser begriffen als europäische Häuser.

Aus Sicht einer unabhängigen und regionalen Nachhaltigkeits-Ratingagentur wie imug rating ist „das freie Spiel der Marktkräfte“ rund um das Thema ESG-Research und -Daten faszinierend zu beobachten. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass hier nicht nur das kommerzielle Kalkül aufgeht – sondern auch, dass ESG-Daten zukünftig tatsächlich in einem Umfang und in einer Qualität genutzt werden, der echte Verbesserungen in der Nachhaltigkeitsperformance der betrachteten Emittenten bewirkt.

Denn das war zumindest in den Anfängen einmal die Idee von Nachhaltigkeitsratings: Transparenz über Unternehmenshandeln führt zu aufgeklärten und verantwortlichen Entscheidungen von Investor*innen und Konsument*innen! Diese Entscheidungen sind wiederum der Anreiz für eine nachhaltige Entwicklung! Eigentlich alles ganz einfach…


Dieser Beitrag erschien zuerst am 22. Januar 2020 auf der Website des NKI – Institut für nachhaltige Kapitalanlagen.

Axel Wilhelm

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