4. August 2020

Generation Greta

Neue Herausforderungen für Retailbanken und Family Offices

Das Thema Nachhaltigkeit scheint sich auf Finanzinstitute vor allem durch Regulatorik auszuwirken. Compliance mit der EU-Disclosure-Verordnung und die EU-Taxonomie sorgen für Unruhe und einen Run auf ESG-Daten, kurz für Environment, Social und Governance. Davon unbemerkt zeichnet sich seit einigen Jahren jedoch ein weiterer Trend ab: Der Generationenwechsel bei Privatkund*innen und innerhalb vermögender Familien bringt eine steigende Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen mit sich. Was steckt hinter dem sich abzeichnenden Paradigmenwechsel und wie können Finanzinstitute den Beratungsanforderungen gerecht werden?

Treiber nachhaltiger Geldanlagen

Die öffentliche Debatte um nachhaltige Finanzen fokussiert sich derzeit vor allem auf Compliance mit immer neuen Regelwerken: Schon 2018 befand eine Studie der Europäischen Sustainability Reporting Initiative (EuroSIF 2018), dass die legislativen Initiativen der Europäischen Kommission der zentrale Treiber für die Entwicklungen auf der Angebotsseite sind. 2020 zeichnen sich die ersten Umsetzungen an. Mit der EU-Disclosure-Verordnung sind Finanzinstitute bald angehalten, über nachhaltige Produkte transparent zu berichten. Noch stärker diskutiert wird die sogenannte EU-Taxonomie, die – zunächst beschränkt auf den Bereich Klima und einige soziale Mindestanforderungen – eine Art Definition für den Begriff „Nachhaltigkeit“ bieten soll. Beide Themen befeuern künftig den Bedarf nach ESG-Daten, die ebenjene Nachhaltigkeit bei Emittenten offenlegt und verfügbar macht. Solche Daten liefern einige Pioniere unter den Nachhaltigkeitsrating-Agenturen wie etwa Vigeo Eiris bereits seit mehr als 25 Jahren. Nun wird das Nischenthema zum neuen Status Quo.

Aber auch die Nachfrage nach Nachhaltigkeitsprodukten steigt stetig. Eine UBS-Studie stellte 2018 fest: 56 Prozent der deutschen Privatanleger*innen gehen davon aus, dass sich nachhaltige Geldanlagen in den nächsten zehn Jahren zum neuen Standard entwickeln werden. Für das Thema interessierten sich bereits 44 Prozent der Anleger*innen, die bisher nicht in nachhaltige Finanzprodukte investieren – Tendenz steigend. Ein starker Treiber dieses Trends sticht heraus: Jüngere Anleger*innen fragen bereits heute weit häufiger nachhaltige Anlagen nach, als ältere Generationen dies tun. So ist es auch nicht verwunderlich, dass insbesondere nachhaltige Banken wie die GLS Bank, Umweltbank oder Ethikbank, die Nachhaltigkeit quasi in ihrem Geschäftsmodell verankert haben, sehr starke Zuwächse von jungen Kundengruppen verzeichnen.

Standardisierte Angebotsregeln treffen auf differenzierte Nachfrage

Die politischen Bemühungen, allgemeingültige Mindeststandards für nachhaltige Finanzprodukte zu definieren, stehen einer großen Vielfalt an individuellen Nachhaltigkeits-Ansätzen gegenüber. Allein beim Thema fossile Energien wird die Komplexität von „Nachhaltigkeit“ deutlich: Ist eine Anlagestrategie „nachhaltig“, wenn die Finanzierung von Ölförderunternehmen ausgeschlossen ist, oder nur, wenn auch Zulieferbetriebe ausgeschlossen werden? Oder ist ein wahres, zukunftsorientiertes Investment vielmehr ein solches, dass die Energieversorger bei der Energiewende unterstützt? Die Erfahrungen verschiedener Generationen machen den Versuch, einen gemeinsamen Nenner zu finden umso schwerer. Während für die erste Generation nachhaltiger Investoren unter den Eindrücken von Tschernobyl beispielsweise noch Atomkraft das wichtigste Ausschlusskriterium war, spricht Fridays for Future öffentlich vor allem den Ausstieg aus klimaschädlicher Kohle an. Die zugrundeliegenden Wertevorstellungen können zu vollkommen unterschiedlichen Investmententscheidungen führen und beide finden aktuell Einzug in nachhaltige Geldanlagen.

Das Beispiel verdeutlicht, dass nicht nur granulare Nachhaltigkeitsdaten erhoben und zugänglich gemacht werden müssen. Mindestens genauso wichtig ist die entsprechende Einordnung solcher Themen durch Produktentwickler*innen, Portfolio Manager, Finanzberater*innen wie auch Endkund*innen. Auch wenn EU-Verordnungen helfen werden, das Thema „Nachhaltigkeit“ zu definieren, bleiben diese Richtlinien zunächst auf die Dimension des Klimawandels beschränkt. Um ethisch-moralische Fragen innerhalb des Themenfeldes Klimawandel und darüber hinaus zu lösen, bedarf es daher Nachhaltigkeits-Know-Hows bei Finanzinstituten. Eine oftmals unterschätzte Aufgabe einer Nachhaltigkeitsrating-Agentur ist daher die Beratung, eine gewünschtes Strategie zu definieren und diese mit der richtigen Anwendung der erhobenen ESG-Daten zu erreichen.

Der hohe Zulauf der jungen Generationen auf nachhaltige Häuser, die eine ganzheitliche institutionelle Ausrichtung auf Nachhaltigkeit aufweisen, ist weiterhin ein Indikator, dass eine ausschließliche Compliance mit den Regularien oder grünes Marketing für junge Menschen zu kurz greifen. Institutionelle Glaubwürdigkeit lautet hier das Schlüsselwort, welche sich letztlich am besten über einen gewissen „Track Record“ in der Nachhaltigkeit manifestiert. Das Privatkundengeschäft der nicht einschlägigen Banken steht daher vor der Herausforderung, sich im Wettbewerb mit den Banken zu behaupten, die ihr gesamtes Geschäft auf Nachhaltigkeit ausgerichtet haben.

Fall 1: Herausforderungen für das Privatkundengeschäft

Sich wandelnde Nachhaltigkeitsverständnisse und -schwerpunkte haben zur Folge, dass nachhaltige Finanzprodukte, die in den letzten Jahren für die Pioniere der Branche aufgelegt wurden, nicht unmittelbar auf die differenzierte Nachfrage unter Privatanleger*innen zu übertragen sind. Hat ein Finanzinstitut etwa vor zehn Jahren einen nachhaltigen Fonds vornehmlich für kirchliche Anleger eröffnet, könnte es zu einem Interessenkonflikt kommen, wenn dort noch keine fossilen Brennstoffe, dafür aber Verhütungsmittel ausgeschlossen werden. Die jüngeren Generationen rückt aber auch ganz neue Themen in den Fokus und fragt innovative Finanzprodukte nach. Dazu gehört etwa der Wunsch, mit dem Aktienkauf zukunftsweisende Technologien oder vegane Ernährung zu unterstützen. Aktien wie der Messengerdienst Slack oder das vegane Start-Up Beyond Meat rücken plötzlich in den Fokus junger Anleger*innen. Diese Lücke versuchen bereits Start-Ups wie die Tomorrow Bank aus Hamburg mit speziellen Angeboten für die junge, hippe Generation zu füllen. Generell zeichnen sich Investitionsprodukte mit einer quantifizierbaren Wirkung, oft SDG oder Impact Investment genannt, als neuer Trend ab: Besonders „junge Menschen fliegen auf Impact Investing“, konstatierte der Vermögensverwalter DWS Group vergangenes Jahr. Es gilt daher, ein differenziertes und glaubwürdiges Angebot für verschiedene Kundensegmente zu entwickeln.

Fall 2: Herausforderungen für Family Offices

Auch in der umfassenden und sehr persönlichen Finanzberatung von Hochvermögenden lässt sich ein Wandel beobachten. Vertrauen, Kundenorientierung und vor allem eine fundierte Beratungskompetenz bleiben das Aushängeschild von Family Offices und privaten Bankhäusern. Hinzu kommt aber auch hier zunehmend das Thema Nachhaltigkeit, wie uns beispielhaft ein Family Office berichtet: „Wir spüren unter unseren Kund*innen eine deutlich stärkere Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen und haben entsprechend unsere Angebote erweitert. Es war uns in enger Absprache mit unseren Kund*innen wichtig, beim Thema Nachhaltigkeit keine halben Sachen zu machen und mit erfahrenen Akteuren zu arbeiten. Wir haben daher in Absprache mit unserem Asset Manager und den Nachhaltigkeits-Ratingagenturen imug und Vigeo Eiris gleich einen ambitionierten, zukunftsgerichteten Nachhaltigkeitsfilter für unsere nachhaltigen Anlagen entwickelt.“

Auch hier ergeben sich spezifische Herausforderungen aus den unterschiedlichen Präferenzen der Generationen. In den vergangenen Jahrzehnten gingen vermögende Privatkund*innen dem Bedürfnis, mit dem eigenen Geld einem gesellschaftlichen Verantwortungsgefühl nachzukommen, primär über das breitgefasste Vehikel der Philanthropie nach. Man legte einen Teil seines Einkommens und Vermögens zur Seite und spendete es an gemeinnützige Organisationen. Mitunter gründete man gar eine eigene Stiftung. Da sich insbesondere bei den Jüngeren immer mehr die Ansicht durchsetzt, dass eine jede Geldanlage auch eine gesellschaftliche Wirkung hat, zeichnen sich Unstimmigkeiten ab. Nicht selten sind sich die Generationen uneins, ob und wenn ja in welcher Form Nachhaltigkeitskriterien in die Vermögensstrategie eingebunden werden sollen. Hier ist einmal mehr die Beratungskompetenz gefordert: Es gilt zwischen bestehenden Anlagestilen und neuen, eventuell divergierenden Nachhaltigkeitsanforderungen zu moderieren.

Die Komplexität einer nachhaltigen Anlageberatung bedarf vieler Ressourcen – oder eines starken Partners

Obwohl das Thema in aller Munde ist, bestehen bei privaten – auch den jungen – Anleger*innen viele Unklarheiten fort: Bestehen Kompromisse hinsichtlich Risiko und Rendite? Worin unterscheiden sich Anlagestrategien, die auf Ausschluss, Integration oder Impact Investment basieren? Noch haben Finanzinstitute die Chance, sich im unübersichtlich werdenden Markt für nachhaltige Geldanlagen zu positionieren – und nicht nur die regulatorischen Mindestanforderungen zu erfüllen, sondern ein glaubwürdiges Nachhaltigkeitsprofil zu entwickeln, um auch die kommenden Generationen von Anleger*innen anzusprechen. Immer mehr Finanzinstitute greifen daher auf die Kompetenz spezialisierter Nachhaltigkeits-Ratingagenturen zurück. Andere bauen eigene ESG-Kompetenzbereiche aus. Schon jetzt scheint klar: Nur mit Compliance wird es nicht reichen, es braucht eine umfassende Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit.

Frieder Olfe

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