26. April 2024

EU-Regulierung: Wie sich europäische ESG-Ratingagenturen neu aufstellen können

Am Beispiel von EthiFinance

Co-Autor*innen: Daria Ezhkova & Sebastian Füllgraf

Kaum ein Geschäftsfeld der nachhaltigen Finanzwirtschaft wurde in letzter Zeit häufiger kritisiert als jenes der ESG-Ratingagenturen. Die unabhängige Rating-, Research- und Beratungsgruppe EthiFinance gibt Einblicke, wie sie mit den durch die Kritik geförderten Marktveränderungen umgeht und strukturell sowie methodisch einen europäischen Weg einschlägt.

Wie sich das Geschäftsfeld für europäische ESG-Ratingagenturen ändert

EU-Taxonomie, SFDR oder auch MiFID II – bisher betrafen regulatorische Veränderungen im nachhaltigen Finanzmarkt vor allem Banken und Assetmanager sowie die Finanzberatung. Seit Jahresbeginn ist klar: Auch ESG-Ratingagenturen müssen sich strengeren Rechtsvorschriften anpassen. Zentraler Auslöser der neuen Regulierung war eine wachsende Kritik an der Branche.

Neben einer erheblichen Konsolidierung des Markts auf angloamerikanische Global Player über das letzte Jahrzehnt hinweg1 wurden auch Stimmen aus der Wissenschaft laut, die den Umgang mit ESG-Ratings und -Scores kritisch beschrieben. Es wurde beispielsweise auf die fehlende Transparenz der Methodik sowie der „Messung“ an sich und die daraus resultierende mangelnde Vergleichbarkeit verschiedener ESG-Ratings verwiesen.2 Außerdem wurde festgestellt, dass im Bereich „Environmental“ Diskrepanzen
zwischen Anbietern existieren sowie in den Bereichen „Social“ oder „Governance“ sogar teils deutlich unterschiedliche Auffassungen vertreten sind, welche Aspekte im Detail in ein ESG-Rating gehören.

Für Aufsehen sorgten Fälle, bei denen diese Abweichungen zu unterschiedlichen Ergebnissen bei Ratings mit demselben Untersuchungsgegenstand führten – etwa, wenn dasselbe Unternehmen in einigen Ratings hervorragend und in anderen deutlich schlechter abschnitt.

Erster Schritt: europäische Strukturen schaffen – am Beispiel der ESG Rating Agency

Eine wesentliche Anforderung der neuen Regulierung an ESG-Ratinganbieter ist die Vermeidung und Bewältigung von Interessenkonflikten in Form einer klaren Trennung von Bewertungs- und Beratungsdienstleistungen. EthiFinance löst die Gruppierung der Bewertungsdienstleistungen über die Gründung einer ESG Rating Agency auf Abteilungsebene. Grüne und soziale Anleihen für Second Party Opinions werden unter dem Dach der ESG Rating Agency in deutsch-französisch-spanischen Teams überprüft, die sich in relevante Wirtschaftssektoren aufteilen. So wird die Expertise im Hinblick auf das jeweilige Land und die Branche sichergestellt. Neben Second Party Opinion werden Nachhaltigkeitsratings in beauftragter („solicited“) und unbeauftragter („non-solicited“) Form mit dem Fokus auf kleine und mittelgroße europäische Unternehmen erstellt, darüber hinaus auch Bewertungen im Bereich EU-Taxonomie und Klimarisikoanalysen.

Leitgedanke der ESG Rating Agency ist eine klare Ausrichtung auf die doppelte Wesentlichkeit. Unter diesem Ansatz werden Unternehmen aus zwei Blinkwinkeln analysiert:

  1. Auswirkung von Nachhaltigkeitsbelangen auf das Kerngeschäft
  2. Auswirkung der eigenen Aktivitäten auf Umwelt und Gesellschaft

Zweiter Schritt: europäische Methodik entwickeln – am Beispiel von Second Party Opinions

Im Jahr 2023 wurde die deutsche ESG-Ratingagentur imug rating in die EthiFinance-Gruppe als Ansprechpartner für die DACH-Region integriert. Im Zuge dieser Integration fand ein intensiver Austausch in Form von europäischen Arbeitsgruppen statt mit dem Ziel, die teils unterschiedlichen hauseigenen methodischen Herangehensweisen zu vereinheitlichen und zu verbessern. In dem Zusammenhang wurde das in Deutschland und Frankreich vorhandene Produktspektrum im Bereich Second Party Opinions harmonisiert und einem methodischen Upgrade unterzogen.

Emittenten steht seitdem ein einheitliches und von Beginn an europäisch gedachtes Kriterienset zur Prüfung nachhaltiger Finanzierungen wie Green Bonds zur Verfügung. Die Produktharmonisierung bringt einige neue Aspekte mit – beispielsweise eine Bewertung der ESG-Leistung von Emittenten („ESG Maturity“) und eine Bewertung der Nachhaltigkeitswirkung von finanzierten Projekten („Impact Assessment“).

Abb. 1: Eine europäische SPO-Methodik: Inhalte im Überblick
Foto: © imug rating GmbH / EthiFinance SAS

Die neuen Bewertungsbausteine ermöglichen eine verbesserte Informationsgrundlage für Investmententscheidungen. Einerseits ist der ESG-Score als nützliches Werkzeug im Bereich der Risikoanalyse stets weiter verbreitet, da Investoren nicht nur nachhaltige Projekte, sondern auch die nachhaltige Ausrichtung der Emittenten für ihre Anlagen positiv sehen. Auch private Kleinanleger können sich anhand dieser neuen Metriken in einem Bereich wachsenden Interesses orientieren.3 Insbesondere anhand des Impact Assessment auf Projektebene können sie besser analysieren, ob das über einen Green Bond finanzierte Vorhaben ihren Erwartungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit entspricht.

Ausblick: EU Green Bond Standard für mehr Klarheit

Ab dem 21.12.2024 wird es möglich sein, gemäß dem EU Green Bond Standard Anleihen zu emittieren. Dabei ist eine strikte Orientierung an der EU-Taxonomie für die Verwendung der Emissionserlöse erforderlich, auch wenn derzeit eine „Flexquote“ von 15 % eingeräumt wird. Der EU Green Bond Standard zeichnet sich neben hohen Nachhaltigkeits- durch hohe Transparenzanforderungen aus: Emittenten müssen zukünftig einen Wertpapierprospekt nach der ProspektVO, ein Informationsblatt zur geplanten Erlösverwendung sowie einen jährlichen Allokationsbericht erstellen. Dabei kann für sie insbesondere der Impact-Bericht, welcher Auskunft zu Umweltauswirkungen nach der Allokation aller Mittel gibt, eine neue Herausforderung darstellen.

Abb. 2: EU Green Bond Regulation: Timeline
Foto: © European Securities and Markets Authority (ESMA)

Was bedeutet der neue Standard für ESG-Ratingagenturen?

Die wichtigste Änderung ist die verpflichtende Registrierung bei der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA). Künftig dürfen nur registrierte Agenturen ein Rahmenwerk nach dem neuen EU Green Bond Standard prüfen. Darüber hinaus wird durch nationale Aufsichtsbehörden geprüft, ob Unternehmen den Transparenz- und Informationspflichten nachkommen. EthiFinance hat die notwendigen Schritte bereits eingeleitet: Die Gruppe strebt eine Registrierung für die neu gegründete ESG Rating Agency an, um Prüfungen gemäß dem EU Green Bond Standard durchführen zu können. Auch weitere Vorbereitungen wie eine Operationalisierung der Methodik laufen.

Wie sich der Markt unter dem europäischen Green Bond Standard entwickelt, hängt davon ab, ob potenzielle und insbesondere mittelständische Emittenten den Fokus auf die EU-Taxonomie als Einschränkung betrachten. Für Banken hat das Thema EU-Taxonomie bereits an Relevanz gewonnen, da sie seit diesem Jahr ein Green Asset Ratio veröffentlichen müssen. Inwieweit die Regulierungen ineinandergreifen, werden die kommenden Monate zeigen.

  1. Z. B.: Mergers and Acquisitions of ESG Firms: Towards a New Financial Infrastructure?, Dimmelmeier, 2020 ↩︎
  2. Z. B.: Aggregate Confusion: The Divergence of ESG Ratings, Berg, Kölbel, Rigobon, 2022 ↩︎
  3. Handelsblatt: So können Privatanleger mit grünen Firmenanleihen Rendite machen, Burkhardt, K., 23.08.2023 ↩︎

Dieser Beitrag erschien zuerst im BondGuide – Special „Green & Sustainable Finance“ (5. Jg.) (April 2024).

Christina Tyca

Christina Tyca

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